Tief unter der Erde
Bei der Prüfung des Ruinengeländes der Kreuzfahrerkirche St. Maria Latina für den Bau der Erlöserkirche war 1893 im Untergrund eine große Mauer in Ost-West-Richtung gefunden worden. Viele waren überzeugt, dass es sich um einen Teil der lange gesuchten „Zweiten Stadtmauer“ Jerusalems aus der Zeit Jesu handeln musste. 1970, bei der Untersuchung der Fundamente der Erlöserkirche für eine umfassende Renovierung der Kirche, stieß man erneut auf diese Mauer.
Das DEI konnte damals mit modernen archäologischen Methoden eine genaue Datierung der Mauer vornehmen. Zu diesem Zweck wurde unmittelbar an der Mauer ein etwa acht Meter tiefer Schacht senkrecht bis auf den Felsboden gegraben. Dieser Tiefschnitt führt auf einen Steinbruch, der bis in das 1. Jahrhundert v. Chr. – zur Zeit Herodes d. Gr. – genutzt wurde. Darüber befinden sich zwei zu unterschiedlichen Zeiten entstandene Schichten.
Die erste Schicht aus drei waagerechten Lehmbändern besteht aus eingeschwemmter Erde, die der Winterregen über einen Zeitraum von mehr als einhundert Jahren von der Zeitenwende bis zur Errichtung der Stadt Aelia Capitolina um 135 n. Chr. eingetragen hat. Offenbar wurde das Gebiet des ehemaligen Steinbruchs als Garten- und Weideland genutzt. Auch eine Feldsteinmauer ist in der Nordseite des Tiefschnitts zu sehen. Die keramischen Funde dieser Schicht reichen bis in das 1. Jahrhundert n. Chr. Die zweite Schicht besteht aus Schutt und wurde zur Geländenivellierung von Süden her in die Senke des ehemaligen Steinbruchs geschüttet, wie die Sturzrichtung an der Ost- und der Westwand des Schachtes zeigt. Diese Schicht hat eine enorme Höhe von etwa 5,50 m und entstand um 135 n. Chr. beim Bau der Stadt Aelia Capitolina durch den römischen Kaiser Hadrian. Der Schutt stammte aus dem 70 n. Chr. zerstörten Jerusalem. Er enthält viele Funde aus herodianischer Zeit und Münzen bis zum ersten jüdischen Aufstand gegen die Römer, vor der Zerstörung Jerusalems.
Am Tiefschnitt wurde deutlich, dass die Mauer, die man für ein Teilstück der „Zweiten Stadtmauer“ aus der Zeit Herodes d. Gr. gehalten hatte, erst auf der Füllschicht aus der Zeit um 135 n. Chr. errichtet worden war. Damit war bewiesen, dass es sich nicht um die „Zweite Stadtmauer“ aus der Zeit Jesu handeln kann. Die Mauer bestand im unteren Teil (unbehauene Steine) aus Fundamentsteinen von Häusern aus dem 2. Jh. v. Chr. und im oberen Teil (behauene Steine) aus einer Rückhaltemauer des Forums südlich der Grabeskirche (4. Jh. n. Chr.).
In der Ausstellung werden einige der im Tiefschnitt verstreut gefundenen Objekte gezeigt. Die ältesten Funde (8. und 7. Jahrhundert v. Chr.) stammen aus der Eisenzeit, der Epoche der alttestamentlichen Könige. Darunter sind zum Beispiel Fragmente von Figurinen, die vermutlich Fruchtbarkeitsidole darstellten und in privaten Haushalten häufig vorhanden waren. Gefunden wurden auch Henkel von eisenzeitlichen keramischen Gefäßen, die mit königlichen Stempeln versehen waren. Im Tiefschnitt befanden sich zudem zahlreiche Münzen aus verschiedenen Epochen, von denen einige in der Ausstellung präsentiert werden. Diese und viele andere Fundobjekte erzählen exemplarisch vom Alltag und der Geschichte Jerusalems.